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Interview mit Iris von Arnim

Süddeutsche Zeitung

Interview: Saskia Aleythe und Lea Hampel


„Meine Kunden gucken nicht, ob sie Ähnliches billiger bekommen“ 

Iris von Arnim gilt als Kaschmir-Queen der Modeindustrie. Ein Gespräch über einen Unfall, der ihr Leben veränderte, Reibereien mit ihrem Sohn und die Kauflust auf Sylt


Eine Villa in einem Hamburger Vorort, davor eine schwere Holztür, dahinter Büros und Ateliers, in denen seit Jahrzehnten Luxusstrickwaren entworfen werden. Von außen nicht sichtbar, aber auf dem Dach: der Pavillon, in dem sich Iris von Arnim ihre, wie sie gern sagt, „luxuriöse Studentenbude“ eingerichtet hat, gemütliche Räume mit Glasfront und -decke zum Nachthimmel und Kamin. Ende der 1970er-Jahre wurde die Designerin mit bunten Regenbogenpullis berühmt, später zur Grande Dame des Kaschmirs. Das Büro der 78-Jährigen liegt im zweiten Stock: Im Regal weiße Gummimäuse und Fotoalben, gegenüber am Kleiderständer Modelle für die nächste Saison. Vor ihr: ein Aschenbecher, irgendwo muss die berühmte raue Stimme ja herkommen. 


SZ: Frau von Arnim, reden wir über Geld. Ist der Besitz dieser Villa für Sie eine Art Beweis, dass Sie es geschafft haben? 

Iris von Arnim: Na klar. Das hat mir sehr viel bedeutet. Ich war alleinerziehende Mutter und hatte für meinen zehnjährigen Sohn und mich und die Firma ein Zuhause geschaffen. Die Immobilienpreise waren allerdings Anfang der 90er noch niedrig und ich hatte genug Geld verdient, um für die Bank kreditwürdig zu sein. Das war Wahnsinn. 

Sie haben genug Pullis verkauft, um eine Immobilie zu bezahlen. Dabei sind Sie dazu durch eine Katastrophe gekommen, einen Autounfall. 

Ja, mit Anfang 20. Zwischen 23 und 27 hatte ich sieben Operationen. Einmal war ich über fünf Monate in Heidelberg im Krankenhaus. Aber mit Plattenspieler, Kopfhörer und LPs von Pink Floyd habe ich’s mir schön gemacht–trotz Gips von den Beinen bis zur Brust. Eines Tages brachte mir ein Freund Mohairwolle in zehn Farben mit. Die habe ich so verstrickt, dass die Farben ineinander verlaufen sind. 

Der erste legendäre Regenbogenpulli, auf dem Ihre Firmengeschichte aufbaut. Profistrickerin war ja damals sicher nicht Ihr Ziel? 

Ich hatte Reisebürokauffrau gelernt. Reisen war zwar schön, aber Büroarbeit fand ich so langweilig, wie eine Tüte Tomaten zu verkaufen. Ich bin erst mal gereist. 

Und Sie haben andere Berufe ausprobiert. 

Zum Beispiel war ich Reporterin bei der Bild in München, habe mich als Texterin versucht und als Fotografin. Ich habe wohl immer einen guten Eindruck gemacht, wenn ich mich vorgestellt habe. 

Aber geblieben sind Sie nirgends? 

Ich hatte wahrscheinlich nicht genügend Disziplin. Entweder fand ich den Chef unfair, weil er eine meiner Ideen als seine ausgegeben hat, oder ich war nicht zuverlässig genug. Ich habe sogar mal einen Job verloren, weil ich einen Urlaub auf den Seychellen verlängert habe. 

Und das Stricken? 

Wenn ich keinen Job hatte, saß ich in meinem WG-Zimmer auf dem Flokati, hörte die Stones, rauchte einen Joint und strickte. Dabei entstanden Pullover, Mäntel, Jacken, immer in ungewohnten Farbkombinationen. Die fanden die Leute schön und wollten sie kaufen. 

Hat das Geld zum Leben gereicht? 

Noch nicht. Aberweil es mit den Jobs nicht funktionierte, dachte ich: Stricken kannst du richtig gut. Mir war klar, dass ich allein nicht genug produzieren kann. Ich habe per Anzeige Heimarbeiterinnen gesucht, die meine Pullis nach Anleitung stricken konnten. So kam ich zu den ersten Kopien. Durch Freunde fand ich in Hamburg einen Laden. Am Rande der Innenstadt, in einem Viertel, das saniert wurde. Zur Straße lag das Geschäft, hinten ein Schlafzimmer, und das für nur 150 DM Miete.

Und die ersten Kunden kamen. 

Ja, aber nur weil ich das Glück hatte, den japanischen Modeschöpfer Yuca zu kennen. Ich durfte seine Kundenkartei nutzen. Und ich stellte etwas ganz Besonderes her. Meine Regenbogenpullis waren einzigartig. Vorher hatte ich mich nie besonders mit Mode beschäftigt, ich bin Autodidakt. Ich wusste allerdings: Handgestrickt ist nicht billig. Ein Pulli kostete 350 oder 400 Mark, das war damals schon viel Geld. 

Zu viel? 

Zum Glück habe ich eröffnet, als der Winter losging. Ein halbes Jahr lang war es ein Riesenerfolg, die Krönung war das Titelbild der Für Sie. Aber ich dachte immer: O Gott, wer soll im Sommer kommen? Als es wärmer wurde, habe ich nur vier Pullis pro Woche verkauft. 

Der Erfolg kam erst auf Sylt in den 70er- Jahren. Wie das? 

Freunde haben in Kampen eine Filiale ihrer Boutique eröffnet. Sie suchten jemanden für den Verkauf. Ich habe gesagt: Ich mache das, wenn ich auch meine Pullis verkaufen darf. Schon damals haben Menschen dort auch mal 400 Mark für einen Pullover ausgegeben. Für Sylter Verhältnisse waren meine Preise normal. Ich habe 30 bis 40 Stück pro Monat verkauft. Das It-Piece war mein Regenbogenpulli. Der hat es sogar in die Bunte geschafft.

Während Sie auf Sylt erste Erfolge feierten, sind Sie Mutter geworden und haben sich früh vom Vater des Kindes getrennt. Welche Rolle haben ökonomische Überlegungen gespielt? 

Auf Sylt traf ich den Chefarzt wieder, der nach dem Unfall mein Bein gerettet hatte. Schon früher in der Klinik hatte es einen kleinen Flirt zwischen uns gegeben. Zwischen all den alten Damen, die neue Gelenke bekamen, war ich mit 25 wohl ein Lichtblick gewesen. Jedenfalls funkte es auf Sylt dann richtig. Ich pendelte von da an zwischen meinem Lädchen in Hamburg und den für mich neuen Verhältnissen in Heidelberg. 

Inwiefern waren die neu? 

Das war eine andere Welt – voller Glamour, ich fand das anfangs wahnsinnig spannend. Aber offenbar war mir Luxus damals noch nicht so wichtig. Ich habe dahinter geschaut, mein eigenes Standing gespürt und wurde kritischer. Ich war nicht mehr sicher, ob ich in dieses Leben passe. 

Sie haben sich für die Unabhängigkeit und Ihr Business entschieden. 

Ja. Obwohl ich schwanger war, als ich mich trennte. Ich habe mich natürlich gefragt: Schaffe ich das alleine? Es ist mutig, sich zu trennen. Es durchzuziehen, ist härter. Zumal damals.

Wie wurden Alleinerziehende behandelt? 

Ich bekam einen Vormund, dabei verdiente ich mein eigenes Geld. Das fand ich diskriminierend. 

Wie haben Sie damals weiter gemacht? 

Ich habe den Laden aufgegeben, mir eine schöne Wohnung gesucht. Als mein Sohn kam, wurde ich so richtig verantwortlich und diszipliniert. Da wird man erwachsen. 

Und wie ging das Geschäft ohne Laden? 

Ich hab eine neue Strategie gebraucht, um meine Kollektion an Modehäuser in Deutschland zu verkaufen. Ich hab angefangen, auf Messen auszustellen. Zum Glück bin ich schon beim ersten Mal mit Aufträgen nach Hause gefahren. Das war Anfang der 80er-Jahre. 

Wie kam da der Durchbruch? 

Albert Eickhoff hatte das wichtigste Modehaus, er war die Fashion-Ikone in Deutschland. Er hatte erfahren, dass ich eine interessante Kollektion hatte, und mir einen Auftrag erteilt. Ein paar Wochen später rief er an und fragte: Wann schicken Sie meine Ware? Ich hatte zu der Zeit mehr Aufträge als Stricker und antwortete: Sie sind nicht der Erste, ich muss vorher andere beliefern. Darauf meinte er: Sie brauchen sicher eine Vorfinanzierung. Am nächsten Tag hatte ich einen Scheck über 20 000 DM in der Post. Natürlich bekam er die erste Auslieferung, ich wollte ja kein Schuldner sein… 

Mit dem Unternehmerinnen-Sein kommt Verantwortung. Hat Sie die geängstigt? 

Nein, irgendwie nicht. Weil alles gesund gewachsen ist. Wir haben uns nicht von heute auf morgen verdoppelt. Ich musste nie Kredite aufnehmen. Dieses Haus hier habe ich erst nach zehn Jahren gekauft. Mir waren die Kunden treu. Natürlich ging es mal nach unten, aber nur, um danach über den letzten Spitzenumsatz hinauszuwachsen. 

Wie schafft man das, die Kunden bei sich zu halten mit Pullis, Jahr für Jahr? 

Ich habe den Anspruch, dass jedes Teil, das ich mache, ein Lieblingsstück werden soll. Wenn Sie den Pullover im Schaufenster sehen, sehen Sie sich am besten selbst darin. Wenn Sie ihn anziehen, sich wohlfühlen und ihn kaufen, muss es ein Lieblingsstückwerden. Dann kaufen Sie auch einen zweiten Pulli. 

Warum haben Sie sich nach einer Weile auf Kaschmir konzentriert? 

Lange habe ich Regenbogenpullis und Pullis nach Motiven von Picasso, Klee, Matisse gemacht–alles vielfarbig und aus den teuersten Garnen, Angora und Seide. Irgendwann war ich das leid. Kaschmir gab es so gut wie gar nicht in deutschen Geschäften. Ich wollte schlichten, guten Stil entwerfen. Es gab damals nur langweilige Basics in Schwarz und Beige– das wollte ich ändern. Gleichzeitig wollte ich weg von den Handstrickmaschinen. Also kam nur eine professionelle Produktion in Italien infrage. So wurde Brunello Cucinelli, damals noch unbekannt, mein Produzent. 

Damals war Strick nicht eben schick. 

Das hat sich in den letzten 40 Jahren verändert. Die großen Modehäuser haben sich damals nicht mit Strick befasst. Aber statt in Anzug und Kostüm bewegt man sich heute lieber unangestrengt. Es gibt heute Strick-Looks in allen Preislagen, für 20 Euro von H& M bis hin zu 2000 Euro von internationalen Designer-Labels. 

Wie sind Sie mit den großen Preisunterschieden umgegangen?

Früher hat mich das sehr beschäftigt. Inzwischen ist es für mich nicht mehr wichtig. Mein Label ist zur Marke geworden. Meine Kunden gucken nicht, ob sie Ähnliches billiger bekommen. 

Nicht mal bei zehn Prozent Inflation? Anders gefragt: Wie viel Kaschmir geht in der Krise? 

Ich spüre natürlich jede Krise. 2008 bei der Bankenkrise war das deutlich. Jetzt läuft es gut, aber wir stellen fest, dass Großkunden vorsichtiger einkaufen. Während der Pandemie haben die Menschen noch Geld in Wohlfühlmode für zu Hause ausgegeben. Jetzt sind Reisen wieder wichtiger. 

Gibt es zudem den Trend, lieber einen Pulli für 1000 Euro zu kaufen statt mehrere? 

Das entwickelt sich altersabhängig. Bis 25 entwickelt man seinen Geschmack, da kauft man oft viel und billig. Jenseits der 30 schaut man schon eher auf Qualität als auf Quantität. Mein Design ist so, dass es möglichst ein Lieblingsstück wird, das sogar vererbt wird. 

Sie sind als Teil einer Flüchtlingsfamilie nach Deutschland gekommen–wie sehr hat das diesen Werdegang, diese Haltung geprägt? 

Ich bin 1945 auf unserem Besitz in Schlesien geboren. Meine Mutter ist zwei Wochen nach meiner Geburt mit dem Treck nach Westen gezogen. Sie starb, als ich drei Jahre alt war. Mit Vater und Bruder habe ich in einer kleinen Wohnung gelebt, wie in der Nachkriegszeit viele Millionen andere Menschen. 

Haben Sie diesen Mangel gespürt? 

Überhaupt nicht. Es gab keine Vergleiche, die Mehrheit lebte so. Dass das Mangel war, wurde mir erst klar, als ich später meinen Sohn unter ganz anderen Bedingungen großziehen konnte. 

Mittlerweile ist Ihr Sohn in die Firma eingestiegen, er war Investmentbanker. 

Valentin hat einen neuen Drive gebracht, sonst hätte das Unternehmen nicht überlebt. Marketing und Social Media hat er entwickelt. Ein Katalog reicht heute nicht, es muss gepostet werden. 

Gibt es auch Reibereien? 

Ja, mein Prinzip war immer: erst Geld verdienen, dann ausgeben. Mein Sohn schaut anders auf Zahlen, er war erstaunt, dass ich ohne Kredite gearbeitet habe. Aber ich bin in einem Alter, in dem man eher entgegenkommt, als Barrieren aufzubauen. Meine Kraft und Zeit sind endlich. Die Zukunft für das Unternehmen ist Valentin. 

Sie arbeiten trotzdem noch viel mit. 

Ja, und gern. Geschmack verlernt man ja nicht. Für mich ist Luxus, das tun zu können, wofür ich brenne. 

Fällt es Ihnen schwer, sich rauszuhalten? 

Na ja, wir sind ja ein Team und wir üben, dass keiner davon abhängig ist, ob ich strahle oder meckere. Manchmal fällt es mir schwer, nichts zusagen–wenn ich Entwürfe sehe, die ich schon vor 30 Jahren probiert habe. Ich sehe meine Aufgabe zunehmend in der Moderation, aber….

…aber es fällt Ihnen nicht leicht? 

Ich kann noch nicht ganz loslassen. Dass ich noch mit so viel Leidenschaft dabei bin, liegt wesentlich an meinen Mitarbeitern. Sie geben mir das Gefühl, dass ich noch gebraucht werde.