Valentin's Letter
High Summer 2022
Liebe Freunde,
ich bin während des Blätterns in unserem neuen Katalog gerade auf Seite 4 hängengeblieben. Man soll natürlich auf die Cashmere-Jacke Zarifa schauen: handgestrickt von wunderbaren Frauen in Polen, die tagelang an dieser Jacke sitzen. Wir würden gerne mehr davon produzieren, finden aber kaum noch genügend Handstrickerinnen, die dieses Handwerk beherrschen. Die nächste Generation möchte lieber am Computer sitzen und Geschäfte oder Marketing machen, so wie ich gerade, als etwas mit ihren Händen zu schaffen.
Und so schaue ich auf Seite 4 viel lieber auf ihre Füße auf dem Stein. Wie sich das wohl jetzt anfühlen würde: meine nackten Füße auf dem groben Stein, ein paar Schritte, die raue und pure Oberfläche der großen Felsblöcke, dann ein kurzer Sprung in den Sand, nun ein paar Muscheln und kleine Steine unter meinen Füßen. Jetzt bin ich ganz weit weg.
Hamburg, 4 Grad, grau mit leichtem Nieselregen. Ich habe einen hellen Marmorboden unter meinen Füßen im Büro. Heute sehr modern. Hat Iris eingebaut, als wir 1989 eingezogen sind. Sie hatte schon immer ein Auge dafür. Jetzt empfinde ich ihn gerade als kalt und glatt – und werde doch nicht meine Schuhe ausziehen.
Ich glaube, unsere Pullover wird man erst dann ganz verstehen, wenn man sie nackt auf der Haut trägt, sie wirklich spürt, sie für sich trägt und nicht für die Anderen. Irgendwie hat das ganz viel mit den nackten Füßen auf dem Stein zu tun. Was für ein Geschenk, wenn man das spüren kann.
Ob ich „Spüren“ als Einstellungskriterium für neue Mitarbeiter etablieren kann? Jetzt drehen sich meine Gedanken wieder schneller und ich fasse die Pullis an, nicht den Boden unter meinen Füßen.
